Der James-Bond-Film „Skyfall“ bringt die neue geopolitische Großwetterlage auf den Punkt. Bond, das geheimdienstliche Sinnbild der anglo-amerikanischen Vormachtstellung in der Welt, jagt seine Gegner nicht mehr in der ehemaligen Sowjetunion, sondern in einem futuristisch anmutenden Shanghai – dem neuen Herzen weltwirtschaftlicher Dynamik. Auf die politische Realität im Jahr 2018 lässt sich das Bild wie folgt übertragen: Statt einer Blockkonfrontation zwischen Washington und Moskau geht es nun um eine neue Bipolarität zwischen den USA und China. Machtwechsel an der Spitze der Weltpolitik haben in der Vergangenheit häufig zum Konflikt geführt. In einer Konfrontation zwischen den USA und China wären viele Länder gezwungen sich auf eine der beiden Seite zu schlagen. Nicht zuletzt für Deutschland ergäbe sich ein handfestes Dilemma. Denn der engste strategische und sicherheitspolitische Partner ist nicht mehr gleichzeitig der wichtigste Handelspartner.
Um sich dem neuen Ordnungsdualismus zwischen Washington und Peking zu entziehen und nicht in einem möglichen Konflikt zwischen den USA und China zerrieben zu werden, muss Berlin daher die Stärkung Europas zur zentralen außenpolitischen Aufgabe machen. Denn nur innerhalb einer starken und unabhängigen EU kann Deutschland seinen Handlungsspielraum bewahren.
Deutschland ist sich der zunehmenden strategischen Rivalität zwischen den USA und China bewusst. Bisher glaubte man aber den Spannungsbogen zwischen sicherheitspolitischer Kooperation mit den USA und vertieftem Handel mit China aushalten zu können. Doch seit Präsident Trump an der Macht ist, schwindet in Berlin das Vertrauen in die USA als unumstößlicher Partner. Gleichzeitig wächst das Unbehagen über das wirtschaftlich robustere Vorgehen Chinas in Deutschland. Durch diese neuen Politikstile der USA und Chinas verkompliziert sich Deutschlands Position zwischen den beiden Großmächten weiter.
Zwei Episoden stehen sinnbildlich für die Zweifel des politischen Berlins an der sicherheitspolitischen Beistandsgarantie der USA. Bei einer Bierzelt-Rede im Wahlkampf 2017 erklärte Bundeskanzlerin Merkel, dass man sich sicherheitspolitisch nicht länger voll und ganz auf die USA verlassen könne. Europa müsse daher nun selbst für die eigene Zukunft kämpfen. Außenminister Gabriel ergänzte im Dezember 2017, dass Europa für eine Zeit ohne US-Führung planen müsse. Gleichzeitig ist sich Berlin klar, dass es auf absehbare Zeit sicherheitspolitisch nicht eigenständig handeln kann. Deutschland und Europa bleiben abhängig vom militärischen Schutzschirm der USA. Das Dilemma: man weiß nicht, ob und wie lange die USA noch willens sind diesen Schutz zu garantieren. Verstärkt wird die Verunsicherung durch die „America first“-Politik von Präsident Trump sowie seine Abkehr vom globalen Handelssystem und dem Pariser Klimaabkommen.
In dieser Ungewissheit präsentiert sich China als verlässlicher Partner und Bewahrer der internationalen Ordnung. Exemplarisch dafür steht der Auftrit Xi Jinpings auf dem letztjährigen Gipfel des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos. Und im Wirtschaftsbereich werden die Verbindungen zwischen der Exportnation Deutschland und China immer enger. 2016 überholte China zum ersten Mal die USA als Deutschlands wichtigster Handelspartner. Die enge Abstimmung zu Handel und Klima zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Xi vor dem G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 belegt zudem die wachsende politische Bedeutung Chinas für Deutschland.
Gleichzeitig ist man sich in Deutschland bewusst, dass zu starke wirtschaftliche Abhängigkeit von (beziehungsweise zu starker wirtschaftlicher Einfluss aus) China sich negativ auf die Sicherheit und Unabhängigkeit Deutschlands auswirken könnte. Sinnbildlich dafür stehen die Diskussionen um die Übernahme der Technologie-Firmen Kuka und Aixtron durch chinesische Unternehmen. Im März 2017 hat der chinesische Elektrogerätehersteller Midea den Augsburger Roboter-Hersteller Kuka übernommen. Der Aufschrei war groß, da es sich bei der Robotik um ein wirtschaftliches Zukunftsfeld handelt und Deutschland im Technologie-Wettrennen ins Hintertreffen geraten könnte. Noch brisanter war der Fall Aixtron. Der chinesische Investor Fujian Grand Chip wollte den Chipanlagenbauer übernehmen. Aus Sicherheitsbedenken legte aber der damalige US-Präsident Obama ein Veto gegen den Verkauf ein, da die Mikrochips auch für das chinesische Nuklearprogramm verwendet werden könnten.
Das Dreiecksverhältnis zwischen Deutschland, den USA und China wird zunehmend zu einem Balanceakt zwischen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Erwägungen. Denn Während die USA weiterhin der wichtigste Verbündete in Fragen von Sicherheit und Verteidigung sind, ist China mittlerweile Deutschlands wichtigster Handelspartner. Da sich jedoch sowohl die Rolle der USA als auch jene Chinas im Verhältnis zu Deutschland verändert, muss auch im politischen Berlin über eine Neujustierung im Verhältnis zu beiden Großmächten nachgedacht werden.
Für Deutschland ergeben sich zwei grundsätzliche Handlungszwänge, die beide auf eine Stärkung der EU hinauslaufen:
Erstens, je weniger sich Berlin in Fragen von Sicherheit und Verteidigung auf Washington verlassen kann, desto dringlicher wird der Aufbau strategischer Autonomie in Europa. Dieser Ansatz lässt sich unter Präsident Macrons Motto „ein Europa, das beschützt“ zusammenfassen. Doch dafür bedarf es auch mehr Verteidigungsausgaben. Frankreich hat angekündigt, das Verteidigungsbudget bis 2025 auf 2% des Bruttoninlandsprodukts zu erhöhen. Wer den deutsch-französischen Motor stärken will, muss auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik Worten Taten lassen folgen.
Zweitens, um zu verhindern, dass man in eine Situation gerät, in der man sich entweder an die USA oder China anlehnen muss, ist es unumgänglich, dass Deutschland die EU als dritte Ordnungsalternative stärkt. Voraussetzung dafür, dass dies gelingt, ist eine Kombination aus europäisch koordiniertem Wirtschaftswachstum und Stärkung der sozialen Kohäsion in ganz Europa.
Eine wirtschafts-, verteidigungs- und sozialpolitisch gestärkte EU ist der zentrale Resonanzboden, der es Deutschland erlaubt dem ordnungspolitischen Wettbewerb zwischen den USA und China zu entkommen und dem Rest der Welt eine glaubwürdige dritte Alternative anzubieten.