Der Amazonas steht in Flammen, die Arktis schmilzt. Rund um den Globus bricht sich der Klimawandel Bann. Das Allgemeingut Klima zu schützen ist eine dringliche Aufgabe für die internationale Staatengemeinschaft. Doch was, wenn manche Staaten sie nicht angehen? Braucht es dann eine Umwelt-Schutzverantwortung? Die Debatte über diese Frage wird an Fahrt aufnehmen.
Die Arktis und der Amazonas – zwei Regionen stehen in diesem Sommer im Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit. Zwar liegt die eine am Nordpol und die andere beinahe am Äquator. Doch es gibt eine Gemeinsamkeit: Beide sind von größter klimatischer Bedeutung für die Aufrechterhaltung lebenswerter Bedingungen auf der Erde. Sie eint weiterhin, dass in beiden Regionen wirtschaftliche Interessen und die Auswirkungen des Klimawandels schmerzhaft aufeinanderprallen. Überwogen in der internationalen Debatte für lange Zeit ökonomische Argumente, steht aktuell der Klimaschutz oben auf der Agenda. Außenminister Heiko Maas hat vor Kurzem das Klima zum „neuen außenpolitischen Imperativ“ erklärt. Aber was folgt daraus für die internationale Politik?
Im Amazonas wüten die schlimmsten Brände seit 2013. Während sich in Sao Paulo der Himmel durch Aschewinde verdunkelt, wird einer der größten CO2-Speicher der Erde vernichtet. Der französische Präsident Macron setzte daher die Waldbrände auf die G7-Tagesordnung und tweetete: „Our house is burning. Literally. The Amazon rain forest - the lungs which produces 20% of our planet’s oxygen - is on fire. It is an international crisis. Members of the G7 Summit, let's discuss this emergency first order in two days!“
Dem Appell schloss sich Außenminister Maas an: „Der Schutz des einzigartigen Naturerbes Amazonas ist eine internationale Aufgabe, die uns alle angeht.“ Neben dem Angebot Hilfe und Unterstützung bei der Brandbekämpfung zu leisten, betonte er noch einmal die Notwendigkeit zu handeln: „Wir dürfen nicht zulassen, dass Brände die grüne Lunge der Welt zerstören.“ Die Reaktion des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro ließ nicht lang auf sich warten. Er warf dem französischen Präsidenten Kolonialismus vor. Eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Brasiliens sei nicht erwünscht.
Die Situation in der Arktis ist ähnlich besorgniserregend. Auch dort stehen diesen Sommer riesige Flächen Tundra in Flammen – in einem Gebiet der Größe Belgiens. Aus dem überhitzten Permafrostboden drohen große Mengen Methan zu entweichen – ein Gas, das um ein Vielfaches schädlicher ist als CO2. Die Folge wäre ein weiterer Temperaturanstieg.
Auch die Erwärmung der Arktis befeuert den Klimawandel und führt weltweit zu immer extremeren Wetterereignissen. Letzte Woche erst machte sich Außenminister Maas vor Ort ein Bild von den Folgen des Klimawandels. Seine Schlußfolgerung: „Wir alle sind in der Verantwortung zu handeln. Das schulden wir gerade auch den Generationen, die nach uns kommen.“ Passend dazu veröffentlichte die Bundesregierung die neuen Arktis-Leitlinien. Damit, so der Außenminister, übernehme Deutschland klimapolitische Verantwortung. Durch mehr internationale Zusammenarbeit solle dieser “einzigartige Raum” geschützt werden.
Aus diesen Statements folgt, dass der Schutz von Umwelt- und Naturgebieten, die für klimatische Stabilität sorgen, immer größere außenpolitische Bedeutung zugesprochen bekommt. Je eindringlicher solche Gebiete als globale Güter beschrieben werden, deren Unversehrtheit Vorbedingung für lebenswerte Bedingungen auf der Erde sind, desto eher könnten Forderungen aufkommen, die nationalen Souveränitätsrechte jener Staaten einzuschränken, die nicht in ausreichendem Maße Verantwortung für Umwelt- und Naturschutz übernehmen. China beispielsweise bezeichnet sich selbst als arktisnaher Staat, da die klimatischen Veränderungen in der Arktis zu Umweltveränderungen im Land führen. Die Volksrepublik nimmt daher für sich in Anspruch, ein Mitspracherecht in arktischen Fragen zu haben. Das zeigt: Aus klimatischen Interdependenzen erwächst politischer Gestaltungswille oder -druck. Insofern ist es vorstellbar, dass vor dem Hintergrund eines anhaltenden oder sich sogar verstärkenden Klimawandels eine Debatte über eine globale Umwelt-Schutzverantwortung einsetzt.
Sie hätte einen Vorläufer: Die Responsibility to Protect (R2P) wurde 2005 auf dem UN-Weltgipfel eingeführt. Das Konzept sieht vor, schwerste Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden. Kommt ein Staat seiner Schutzverantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht nach, ist die internationale Gemeinschaft gefordert, im Extremfall sogar über kollektive Zwangsmaßnahmen, Völkermord, Kriegsverbrechen oder ähnlich schwere Verbrechen zu unterbinden.
Der Schutz von Menschenleben ist Kernidee der R2P. Und auch der Klimawandel droht menschliche Lebensgrundlagen zu zerstören. Braucht die Weltgemeinschaft deshalb eine Umwelt-Schutzverantwortung? Die Debatte über diese Frage scheint unausweichlich. Im Pariser Klimaabkommen wird darauf verwiesen, dass die Integrität aller Ökosysteme und der Schutz der biologischen Vielfalt zu gewährleisten ist. Es liegt in der Natur nationalstaatlicher Souveränität, dass manche Staaten auf diese Ziele hinarbeiten - und andere nicht. Daraus erwächst ein Dilemma: Darf die internationale Gemeinschaft bei der Zerstörung oder dem Nicht-Schutz sensibler und klimarelevanter Umweltzonen einfach nur zuschauen? Gilt auch in diesen Fällen das Prinzip nationalstaatlicher Souveränität, welche den jeweiligen Staaten das alleinige Handlungsprimat zuspricht? Oder sollte es der internationalen Gemeinschaft gestattet sein, sich in die Angelegenheiten eines oder mehrerer Staaten einzumischen, wenn auf dem jeweiligen Hoheitsgebiet nicht ausreichend Klima- und Umweltschutz betrieben wird?
Eine klare Antwort auf die Frage, wie man nationale Souveränität und globale umweltpolitische Verantwortung in Einklang bringen kann, ist vorerst nicht in Sicht. Absehbar ist allerdings, dass in Zeiten zunehmenden Klimawandels die Debatten um eine Umwelt-Schutzverantwortung zunehmen werden.