Die innenpolitische Debatte um Deutschlands Rolle in der Welt bleibt schwierig. Noch immer spricht sich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen mehr internationale Verantwortung Deutschlands aus. Laut Berlin Pulse der Körber Stiftung sprechen sich 55% für Zurückhaltung aus, nur 41% plädieren für eine aktivere Rolle in der internationalen Politik. Politikerinnen und Experten enttäuschen diese Zahlen größtenteils. Wer aber etwas unterhalb der Oberfläche der abstrakten Verantwortungsfrage kratzt, findet interessante Befunde, die nahelegen, dass die Bevölkerung durchaus offen ist für eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt. Dabei geht es den Deutschen nicht darum, dass Deutschland automatisch bei jeder ordnungspolitischen Frage vorne mit dabei ist. Vielmehr, dass legen die Umfragedaten nahe, soll sich deutsche Außenpolitik dort konkret weiterentwickeln und internationale Politik aktiv gestalten, wo deutsche Interessen berührt sind. Dazu drei Gedanken:
1. Starker multilateraler Impuls:
Eine überwältigende Mehrheit von 78% spricht sich dafür aus, dass Deutschland seine Flüchtlingspolitik im Rahmen der EU stärker koordiniert. Diese Zahl ist umso bedeutsamer, wenn man bedenkt, dass der Komplex „Flucht und Migration“ mit 30% als größte außenpolitische Herausforderung von den Deutschen angesehen wird – noch vor dem deutsch-amerikanischen Verhältnis (28%). Im Gegensatz zu populistischen Stimmen im Deutschen Bundestag wiedersetzt sich die Mehrheit der Bevölkerung also dem nationalistischen Reflex und plädiert eindeutig für ein starkes multilaterales Vorgehen Deutschlands. Dieses Plazet sollte die Politik ernst nehmen und sich auch außenpolitisch offensiver von Forderungen der Populisten abgrenzen.
2. Offen für höhere Verteidigungsausgaben:
Die vielleicht überraschendste Erkenntnis ist, dass sich insgesamt 43% für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben aussprechen. Das ist ein Anstieg um 11% gegenüber dem Vorjahr. Weitere 40% sprechen sich für gleichbleibende Ausgaben aus. Vor dem Hintergrund des starken Anstiegs des BMVg-Haushalts in den letzten Jahren, ist auch dieser Wert bemerkenswert. Dafür, dass so viele Menschen für mehr Verteidigungsausgaben offen sind, gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten: 1. Der Trump-Effekt wirkt. Eine zunehmend unsichere internationale Lage, gepaart mit einem US-Präsidenten, der das Nato-Bündnis und die Partnerschaft mit Deutschland in Frage stellt, führt zu der Einsicht, dass man mehr in die eigene Verteidigung(sfähigkeit) investieren muss. 2. Echte Debatte wirkt auch. In den Medien wurde mehr über die Notwendigkeit von Mehrausgaben berichtet – zum einen, in dem die offensichtlichen Mängel der Bundeswehr offengelegt wurden, zum anderen, in dem über die zerbrechende internationale Ordnung debattiert wurde. Die Politik wiederum hat gleichzeitig mehr erklärt, warum eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben sinnvoll ist. Hieraus lässt sich ableiten: Wenn umfassend berichtet und ernsthaft erklärt wird, sind die Deutschen auch zu vermeintlich unbequemeren außenpolitischen Entscheidungen bereit.
3. Mehr Außenpolitik wagen
Zuletzt, das legt der Berlin Pulse 2018 nahe, erwartet die Bevölkerung in zwei Themenbereichen auch konkret mehr beziehungsweise eine andere deutsche Außenpolitik. Auf die Frage, wie sie Chinas wachsenden Einfluss in der Welt beurteilen, sagen 42% der Deutschen, dass sie diesen negativ sehen. Das ist ein Anstieg von 8% gegenüber 2017. Nur 11% sehen den größeren Einfluss positiv (2017: 13%). Zwar sehen noch immer die meisten Deutschen China neutral (46%). Doch auch dieser Wert ist in den letzten 12 Monaten um 5% zurückgegangen. Die China-Euphorie vergangener Jahre scheint sich zunehmend in Skepsis zu wandeln. Daraus wiederum könnte die Forderung nach einer anderen Außenpolitik gegenüber China entstehen.
Noch klarer ist die Meinung zum Thema Künstliche Intelligenz. 62% der Bevölkerung sind der Meinung, dass Deutschland nicht genug tut, um international in diesem Bereich wettbewerbsfähig zu sein. Das Fazit aus beiden Erläuterungen: die Deutschen sind weniger Status Quo-fixiert, als häufig beklagt. Wenn vermeintliche deutsche Interessen tangiert sind, wird durchaus eine aktive(re) Außenpolitik eingefordert.
Im Westen was Neues
Der Berlin Pulse 2018 der Körber Stiftung skizziert eine Reihe positiver Trends, die durchaus nahelegen, dass die 2014 auf der Münchener Sicherheitskonferenz angestoßene Debatte zu Deutschlands internationaler Verantwortung nicht umsonst gewesen ist. Hält man sich nicht zu sehr an dem abstrakten Begriff der Verantwortung auf, wird deutlich, dass konkrete Verantwortung in genau jenen Politikbereichen, in denen deutsche Interessen tangiert werden, durchaus von der Bevölkerung gewünscht wird. Die strategische Kultur Deutschlands scheint also durchaus wandlungsfähig zu sein.