Was ist die wichtigste Waffe der Ukraine im Krieg gegen Russland? Weder die Panzerhaubitze 2000 noch Iris-T. Es ist Starlink. Die Satelliten-Infrastruktur, die die ukrainische Armee in die Zukunft katapultiert. Oder wie es Trent Telenko formuliert: „The Ukraine War is the first Starlink war and the side with Starlink is beating the side without.“
Aber was ist der besondere Nutzen von Starlink für die Ukraine? Warum ist die Abhängigkeit der Ukraine von SpaceX gleichzeitig ein Problem? Und welche Schlussfolgerungen ergeben sich für Deutschland und die Bundeswehr?
1. Der besondere Nutzen von Starlink für die Ukraine:
Starlink hilft der Ukraine in vielerlei Hinsicht. Die ersten Angriffe Russlands gegen die Ukraine zielten auf die Internet-Infrastruktur des Landes ab, um großflächig die Kommunikation in der Ukraine zu unterbinden. Das Satelliten-Internet ermöglicht der Ukraine nun weiterhin verschlüsselte Konnektivität – auch in den von Russland besetzten Gebieten.
Neben der Bereitstellung von Internet für die Zivilbevölkerung ist Starlink aber besonders für das ukrainische Militär von größter Bedeutung. Wie wichtig, zeigt dieses Video. Starlink ermöglicht der ukrainischen Armee eine sehr viel dezentralere und sehr viel schnellere Kriegsführung als Russland. Das zeigt sich exemplarisch an dem Zusammenspiel von Starlink und der ukrainischen GIS Art for Artillery-Software – einer Art Kriegs-App auf dem Smartphone.
Die Software identifiziert russische Stellungen, berechnet Zieldaten und identifiziert alle sich in der Nähe befindlichen ukrainischen Waffensysteme, die zur Bekämpfung eingesetzt werden können. Kommandeure vor Ort entscheiden dann, welche Waffen für den Angriff eingesetzt werden. Für diese Art der vernetzten Kriegsführung ist natürlich ein permanenter, stabiler und sicherer Datentransfer mit immer mehr Bandbreite nötig. Dieser wird ermöglicht durch Starlink. Und zwar nicht nur in ukrainisch kontrollierten Gebieten, sondern auch hinter feindlichen russischen Linien.
Natürlich sind HIMARS und andere an die Ukraine gelieferten konventionellen Waffen von zentraler Bedeutung. Aber erst in der Kombination mit der digitalen Starlink-Infrastruktur werden sie zum komparativen Vorteil der Ukraine gegenüber der russischen Armee.
Die Zielerfassung benötigt gute Informationen und Geheimdiensterkenntnisse. Damit diese schnell fließen, braucht es eine Plattform, um sicher Daten und Informationen austauschen zu können. Dafür braucht es einiges an Bandbreite. Durch Starlink ist dem ukrainischen Militär, dem Geheimdienst und der Regierung all dies möglich. Sie alle können Informationen und Erkenntnisse schneller verarbeiten, untereinander kommunizieren und Kommandos an die Truppen im Feld geben als es die russische Armee kann. Daraus ergibt sich der ukrainische Vorteil.
Das Resultat: Von Identifizierung eines Ziels bis zum Abschuss einer Waffe vergehen nur noch 30 Sekunden. Die US-Armee hatte dafür im zweiten Weltkrieg einen Zeitraum von fünf Minuten. Aktuell vergeht bei der US-Armee eine Stunde zwischen Zielidentifikation und Abschuss.
Starlink und GIS Art for Artillery sind damit vielleicht das beste Beispiel für einen Trend hinsichtlich der Entwicklungen der Armeen Russlands und der Ukraine, den Lawrence Freedman wie folgt beschrieben hat: „Both sides must adapt, but the Russians are adapting into becoming more of a 20th Century army whilst the Ukrainians are becoming more of a 21st Century army.“
Oder wie es auch ausgedrückt wurde: “Ukraine feels like it’s a half a generation ahead on integrating the technologies that it’s using into novel war-fighting concepts.”
2. Warum ist die Abhängigkeit der Ukraine von SpaceX gleichzeitig ein Problem?
Wenn kriegsentscheidende Infrastruktur und Fähigkeiten nicht mehr von Staaten, sondern von Privatunternehmen kontrolliert werden, sind Staaten immer mehr den Interessen von Unternehmen und den Launen ihrer Chefs ausgesetzt. Die wohl größte Herausforderung ist das Phänomen des „Deplatforming“. Das bisher prominenteste Beispiel war die Entscheidung von Twitter, dem damaligen US-Präsidenten Trump den Zugriff auf seinen Account zu verweigern, nachdem es am 06.01.2020 zum Sturm auf das US-Kapitol gekommen war.
Elon Musk, der Besitzer von SpaceX und neuerdings auch Chief Twit hat sich in den letzten Wochen immer mehr als eigenständiger geopolitische Spieler oder „Chaos-Agent“, wie ihn die NY Times titulierte im Krieg Russlands gegen die Ukraine positioniert. Berichte über einen temporären Ausfall von Starlink in Teilen der Ukraine und daran anschließende öffentlich ausgetragene Nickligkeiten zwischen ukrainischen Offiziellen und Elon Musk, dem neuen Twitter-Chef, geben einen Vorgeschmack auf eine Zukunft, in der mächtige Tech-Unternehmer theoretisch einzelnen Staaten den Zugriff auf kritische Technologien versagen könnten, deren uneingeschränkte Verfügbarkeit diese Staaten aber in Kriegssituationen oder ähnlichen Szenarien brauchen. Daher kam Bruno Macaes zu folgender Einschätzung: “This idea that a private company has control over how a country conducts war is obviously insane.”
Wie sehr auch die Politik solch ein Szenario mittlerweile umtreibt, zeigt auch das Statement des litauischen Außenministers: „Ukraine´s internet connectivity is too important to be left in the hands of one private individual. Let´s find a way to form a coalition of Ukraine´s allies to pay for Starlink, or let´s find an alternative supplier. Lithuania is ready to contribute.“
Komplizierter wird die Lage im Falle von Elon Musk auch dadurch, dass Staaten bei Privatunternehmen nicht wissen können, wie diese Firmen mit Drittstaaten in Verbindung stehen. So erklärte US-Präsident Biden, dass „Elon Musks Kooperationen und technische Beziehungen mit anderen Ländern üerprüft werden sollten.“
Die Twitter-Übernahme finanzierte Musk unter anderem mit Geld vom saudischen Prinzen Alwaleed bin Talal, einem Tochterunternehmen des staatlichen Investmentfonds von Katar und der Kryptowährungsbörse Binance, die ursprünglich in China gegründet worden war. In der heutigen multipolaren Welt, in der Staaten und nicht-staatliche Akteure sich immer mehr auf Augenhöhe begegnen, sind politische Allianzen nicht mehr so klar gezogen, wie noch in früheren Jahren.
3. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für Deutschland und die Bundeswehr?
1. Insgesamt ist moderne Kriegsführung ohne weltraumgestützte Kommunikations- und Aufklärungssysteme nicht mehr denkbar. EU-Kommissar Breton erklärte bereits: “Satellites are a true geopolitical infrastructure.“ Und sein Kollege Borrell, der Hohe Vertreter für die Außenpolitik erklärte: „Our freedom of action depends on a safe, secure and autonomous access to space.“ Und auch von Seiten der Bundeswehr hört man ähnliche Aussagen: „Die Aufkärungsfähigkeit der Bundeswehr, die Navigation und die Kommunikation in unseren Streitkräften hängen entscheidend von diesen Satelliten ab.“ Leider hinken Deutschland und ein Großteil der europäischen Staaten den USA in diesem Bereich hinterher.
2. Es braucht also mehr Geld für den Weltraumbereich. Aus dem Sondervermögen Bundeswehr wird dieses Geld in erster Linie aber nicht kommen. Der Großteil der 100 Milliarden Euro geht nämlich drauf für den F35, Transporthubschrauber, Kampfpanzer und Fregatten. Aber das reicht nicht aus. Weitere Milliarden werden explizit für den Weltraumbereich benötigt – entweder über eine Aufstockung des Sondervermögens oder Erhöhungen im regulären Haushalt des Bundesverteidigungsministeriums.